EU-Zahlungsverzugsverordnung: Die Folgen von einem 30-Tage-Zahlungsziel für alle
Viele Fragen bleiben offen: Was wir aus den zahlreichen Gesprächen mit Unternehmen unterschiedlicher Branchen über die geplante Zahlungsverzugsverordnung und mögliche Folgen wissen.
Schon seit einiger Zeit beschäftigen wir uns als Kreditversicherungsmakler mit dem neuen Vorschlag der EU zur Zahlungsverzugsordnung. Je tiefer wir einsteigen und je mehr wir mit unseren Kunden und Netzwerkpartnern diskutieren, desto mehr Fragen entstehen – und bleiben unbeantwortet. Aber auch eine wichtige Überzeugung reift: Dieser EU-Vorschlag muss dringend überarbeitet werden. In dieser Form sollte die Verordnung nicht umgesetzt werden.
Update: Der "Ausschuss für für Binnenmarkt und Verbraucherschutz" hat einige Änderungen am Entwurf vorgeschlagen. Erfahren Sie hier mehr zum aktuellen Stand der Verordnung.
Ein klares Ja zu schnellerem Zahlungseingang
Die allermeisten Menschen würden den Zielen der Verordnung wohl uneingeschränkt zustimmen: Wer könnte schon etwas dagegen haben, kleine und mittlere Unternehmen vor der Abhängigkeit von Konzernen zu schützen? Und wer wäre nicht dafür, Lieferketten zu stabilisieren? Aber genau diese Ziele sind unserer Einschätzung nach aus dem Fokus geraten, teilweise torpediert der Entwurfstext sie gar. Klar: Eine Verordnung, die für alle Branchen, alle Unternehmensgrößen und alle Regionen gelten soll, kann per se keine Rücksicht auf die Bedürfnisse Einzelner nehmen. Aber was, wenn sie stellenweise sogar Risiken erhöht?
Wir haben in den vergangenen Wochen mit zahlreichen Unternehmen und Verbänden über die geplante EU-Verordnung zum Zahlungsverzug und ihre Folgen gesprochen. Und natürlich: Wer mehrere Kunden oder Verbände aus unterschiedlichen Branchen befragt, erhält auch unterschiedliche Antworten. Grundsätzlich einig sind sich unsere Kunden darin, dass schnellere Zahlungen generell von Vorteil sind.
In Deutschland beobachten wir, dass Forderungsläufe – Zahlungsziel plus Zielüberschreitung – schnell mehr als 60 Tage betragen. Für Europa gelten recht ähnliche Zahlen. Die neue Verordnung würde also die Außenstände deutlich reduzieren, immerhin drohen bei Nichteinhaltung empfindliche Strafgebühren und Zinsen. Allerdings befürchten unserer Gesprächspartner auch Nachteile für sich, ihre Kunden und die gesamte Branche.
Beispiel Lebensmittelhandel
Wir konnten bereits Erfahrungen mit einem europaweit verbindlichen Zahlungsziel sammeln: Seit dem 1. Januar 2022 schreibt die EU für den Handel mit verderblichen Lebensmitteln ein Zahlungsziel von 30 Tagen vor. In der Folge halbierten sich die Außenstände unserer Kunden. Sie profitieren so von einer besseren Bilanzstruktur und einem höheren Unternehmensrating. Der Risikotransfer musste über eine Warenkreditversicherung oder eine Factoring-Lösung durch uns auf neue Beine gestellt werden.
Bei nicht verderblichen Lebensmitteln und Lebensmittelrohstoffen verlangen Nahrungsmittel-Konzerne im Einkauf aber häufig auch 120 Tage Zahlungsziel. Auch im Stahlhandel, im Reifenhandel, im Maschinenbau oder im Non-Food-Einzelhandel übersteigen die verlangten Ziele schnell 90 oder gar 120 Tage. Ein ähnlicher Effekt wie im Handel mit verderblichen Lebensmitteln wäre daher grundsätzlich für viele wünschenswert. Das bedeutet allerdings, dass sich die Zahlungsziele im Wareneinkauf ebenfalls halbieren. Dies belastet jedoch einige Branchen stärker als andere – einige Geschäftsmodelle werden durch die Verordnung geradezu konterkariert.
Der Lieferantenkredit
Der Großhandel, der für seine Kunden feste Warenmengen beschafft und diese gegebenenfalls noch veredelt, verteilt oder kommissioniert, wird in der Regel von der neuen Verordnung profitieren können. Jedoch hat er eine nicht zu unterschätzende Finanzierungsfunktion in Form der Gewährung von Warenkrediten an seine Kunden. Die Zahlungsziele im Einkauf und Verkauf unterscheiden sich teilweise erheblich. Kürzere Zahlungsziele verschaffen dem Großhändler zwar deutlich mehr Liquidität, nehmen ihm aber auch die Funktion des Lieferantenkreditgebers.
Der Finanzierungsbedarf der Lieferanten würde sich bei Inkrafttreten der Verordnung oft mehr als halbieren – so viel ist klar. (In der Folge würde übrigens auch das Factoring an Attraktivität verlieren.) Allerdings würden die Lieferanten damit auch einen Teil ihrer Verhandlungs- und Wettbewerbsfähigkeit einbüßen. Denn wenn sie ihren Kunden keinen Kredit mehr gewähren dürfen, entscheidet bei vergleichbaren Produkten nur noch der Preis. Im Wettbewerb mit Anbietern aus Nicht-EU-Ländern könnte das Einheitszahlungsziel der EU so zum Nachteil der Mitgliedsstaaten werden.
Im Jahr 2019 betrug das Verhältnis von Lieferantenkrediten gegenüber kurzfristigen Bankkrediten 337 Millarden Euro zu 205 Milliarden Euro – in den Jahren zuvor war die Bedeutung dieses Finanzierungsinstruments deutlich gestiegen. Auch eine EU-Umfrage zeigt einen höheren Bedarf kleiner und mittlerer Unternehmen an Lieferantenkrediten als an Bankkrediten. Dies unterstreicht die Wichtigkeit dieses Finanzierungsinstruments – und die Relevanz der Kreditversicherung, die weite Teile dieses Lieferantenkredites absichert. Kehrt sich das Verhältnis der Kreditarten – Lieferantenkredit vs. Bankkredit – um, müssen wir mit Liquiditätslücken bei Unternehmen und Insolvenzen rechnen. Schließlich müssen die mehreren Hundert Milliarden Euro, die als Lieferantenkredit wegfallen, teilweise anders finanziert und aufgefangen werden.
Eigentumsvorbehalt und Lieferketten
Im Reifenhandel sind Zahlungsziele von über 270 Tagen und mehr für die Belieferung der Händler durchaus üblich. Hier legt sich ein Händler bereits mehr als ein Jahr im Voraus fest, welche Stückzahlen – beispielsweise von Winterreifen – er planmäßig verkaufen möchte. Bei einem Zahlungsziel von 30 Tagen wäre diese Vorgehensweise hinfällig. Ohne Vorbestellung steigen die Preise jedoch erheblich, da die Reifen nicht mehr in großen Mengen per Container angeliefert werden können. Außerdem kann die Lieferbarkeit jedes gewünschten Reifentyps nicht mehr gewährleistet werden.
Das gesamte Volumen der Vorbestellungen wird wiederum kein Händler vorfinanzieren können. Gegenwärtig sind die Hersteller durch eine Warenkreditversicherung abgesichert. Sie tragen das Risiko, wohl wissend, dass sie sich im Fall der Fälle auf den Eigentumsvorbehalt berufen und ihre Ware zurückfordern können – und sich der entstandene Schaden deutlich minimieren wird. Und wenn der Händler die Ware bereits bezahlt hat? Dann gilt der Eigentumsvorbehalt natürlich nicht mehr. Der Insolvenzverwalter muss das Lager verwerten. Welche Bank würde bei der dünnen Kapitaldecke der Händler dieses Risiko ausreichend finanzieren?
Zudem ist zu befürchten, dass nicht mehr alle Reifen produziert werden, um die Lagerhaltung zu verschlanken. Nicht jede Lieferkette wird dem Druck der neuen Verordnung standhalten.
In anderen Branchen sind sehr frühe Lieferungen von Saisonartikeln mit langen Zahlungszielen üblich. So wird Hustensaft bereits einige Monate vor Beginn der Erkältungssaison geliefert. Torfe und Erden für den Hobbygärtner gehen bereits im November des Vorjahres an den Handel, lange bevor im Garten an Frühling zu denken ist. Die Verordnung gibt keinen Hinweis darauf, wie dies in Zukunft geregelt werden kann. Wenn die Ware erst bestellt wird, wenn die Erkältungswelle rollt oder der Frühling naht, kommt sie nicht rechtzeitig in den Handel oder ist ständig ausverkauft. Diese logistische Herausforderung ist kaum zu bewältigen.
Fehlende Liquidität
Auch der Einzelhandel würde bei einem Zahlungsziel von 30 Tagen zu den großen Verlierern dieser Regelung gehören. In der derzeitigen Konjunkturlage würden die meisten Einzelhandelsunternehmen bei ihren Banken vergeblich um die notwendige Liquidität nachsuchen. In der Folge könnten sie nicht mehr die gewohnten Mengen einkaufen und würden die Warenbevorratung möglicherweise an Großhandelspartner auslagern.
Großhändler ohne feste Abnahmeverpflichtungen mit seinen Kunden bekommen damit das Problem weitergereicht. Aktuell fakturiert der Großhandel seine Rechnung mit einem Zahlungsziel von beispielsweise 90 Tagen an das Unternehmen. Bei Bedarf kann er sich Liquidität verschaffen, indem er die Forderung an eine Factoringgesellschaft verkauft und so seine Lieferanten bezahlt. Der Großhändler hat nun die Wahl, ob er kleinere Mengen bei seinem Vorlieferanten bestellt oder ob er sein Lager aufstockt und seine Banklinien erweitert.
Der Lieferantenkredit ist der günstigste Kredit, den ein Unternehmen aufnehmen kann. Die Fremdfinanzierung über Banken muss dagegen zusätzlich bezahlt werden. Damit steigt der Druck auf die Einkaufspreise. Vor allem bei großen Handelspartnern muss die Ware dennoch pünktlich geliefert werden, sonst drohen Schadenersatzforderungen. Für die Lieferanten zeichnet sich hier ein Dilemma ab. Billiger werden die Waren im Einzelhandel durch die Verordnung sicher nicht.
Andere Branchen haben noch ganz andere Probleme. Schon jetzt übernimmt der Großhändler für Handwerker nicht nur die Aufgabe des Lieferns, sondern ist auch wichtiger Finanzier. Die Fliesen müssen verlegt sein, der Auftrag abgeschlossen sein und alle Mängel beseitigt sein, bevor der Handwerker seine Rechnung nach 30 Tagen beglichen bekommt. Sollte diese Verordnung umgesetzte werden, wird der Handwerker ebenfalls mehr Liquidität und Bürgschaften zur Entlastung der Kreditlinien bei seiner Hausbank benötigen. Zudem muss er vermehrt auf Anzahlungen bei seinen Kunden bestehen.
Ähnlich sieht es in der Landwirtschaft aus: Die Saat, die gesät wird, muss erst wachsen, bis daraus eine verkaufsfähiges Erzeugnis entstanden ist. Zahlungsziele, die erst mit der der Ernte des Korns fällig werden, wird es dann nicht mehr geben. Welche Folgen hätte die Zahlungsverzugsverordnung für diese Betriebe?
Schutz oder Schaden
Die Autoren der Zahlungsverzugsverordnung weisen im Vorwort darauf hin, dass etwa 50 Prozent der Rechnungen europaweit nicht pünktlich gezahlt werden. Die verspätete Zahlweise der Kunden sei auch der Grund für 25 Prozent der Insolvenzen in Europa. Man erinnere sich: Das eigentliche Ziel dieser Verordnung ist es ursprünglich gewesen, die KMU, die von Großkonzernen abhängig sind, vor deren Macht zu schützen und damit die Lieferketten abzusichern.
Die Zahlungsziele aller Unternehmen, auch die der Großkonzerne untereinander, fallen jedoch auch unter diese Verordnung. Unseres Erachtens verwässert dieser Aspekt das eigentliche Ziel der Zahlungsverzugsverordnung deutlich. Die Großen hatten und haben immer die Marktmacht, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Der Wegfall der Wahlfreiheit des Zahlungszieles für alle empfinden wir als zu weitreichende Einmischung in die unternehmerischen Freiheiten. Die EU spielt hier in Teilen mit der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in der EU – schließlich werden Nichtmitgliedsstaaten wie die Schweiz oder das ohnehin wirtschaftlich geschundene Großbritannien hier gern bessere Konditionen bieten und auf diese Weise Kunden abwerben können.
Neue Risiken und eine neue Behörde
Die Verordnung wird dafür sorgen, dass viele Branchen sich neu erfinden müssen. Einige Unternehmen werden wohl oder übel aus dem Rennen um den Kunden ausscheiden. Zumindest kurzfristig erwarten wir sogar mehr Insolvenzen. Das Risiko der Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens wird sich verlagern. Gerade für die Unternehmen, die sich annähernd über den Lieferantenkredit Ihrer Kunden finanzieren, müssen die Risiken neu bewertet werden – und nicht alle werden die benötigte Liquidität von ihren Banken bekommen.
Nur in einem Punkt sind sich alle Gesprächspartner einig: Eine neue Behörde, die das Recht bekommen soll, die Zahlungsziele der Unternehmen zu überwachen, ist abzulehnen.
Wie würde sich die Zahlungsverzugsordnung auf Ihr Unternehmen auf Ihr Unternehmen auswirken? Stufen Sie sich im Sinne des eigentlichen Ziels der Verordnung als kleines und mittleres Unternehmen als schutzbedürftig ein – und wie stehen Sie zu den geplanten Regelungen? Wir nehmen gerne die Diskussion mit Ihnen auf und überlegen gemeinsam, wie Sie das daraus resultierende Risiko einfangen können. Die Klaviatur unserer Möglichkeiten ist groß – wir helfen Ihnen, Ihr Risiko sichtbar zu machen und absichern.
Kontaktieren Sie uns
Heiko Walter
Geschäftsführer
Wa-Ka Kreditversicherungsmakler GmbH
Wa-Ka Credit Solutions GmbH
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Jens Kammann
Geschäftsführer
Wa-Ka Kreditversicherungsmakler GmbH
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E-Mail: kammann(at)wa-ka.de
Eine Antwort
Wir haben in den letzten Tagen viel Feedback zu unserer Veröffentlichung erhalten.
Es sind noch viel mehr Branchen, die unter dieser Verordnung leiden werden. Factoring-Gesellschaften bekommen den Druck zu spüren, da Sie weniger Geld verleihen. Da kein Geld mit Zinsen mehr verdient wird, werden die Factoringgebühren wohl angepasst. Factoring wird generell uninteressanter, und Reverse Factoring verliert gar seine Existenzberechtigung. Der Wegfall von langen Zahlungszielen als eine Art der Absatzfinanzierung stößt dem Anlagen- und Maschinenbau auf. Aber auch bei Großprojekten mit verschiedenen zugekauften Anlageteilen sieht man einen nicht unerheblichen Refinanzierungsbedarf. In der Diskussion um diese Verordnung haben wir einem kleinen, versteckten Vorteil nicht genügend Wertschätzung entgegengebracht: Der Eigentumsvorbehalt soll europäisch verankert werden. Grundsätzlich ist das ein Aspekt, den wir als Makler begrüßen.