„Einen Freibrief gibt es nicht“: Die neue Rechtsprechung zur Insolvenzanfechtung

Ein Rückblick auf unser Seminar mit Jochen Rechtmann, Buchalik Brömmekamp Rechtsanwälte.

Die gute Nachricht zuerst: Das Risiko, einer Rückforderung erhaltener Zahlungen durch den Insolvenzverwalter eines inzwischen zahlungsunfähigen Schuldners konfrontiert zu sein, hat sich in den vergangenen Jahren durch die Rechtsprechung des BGH deutlich verringert. Nach der Gesetzesnovelle aus dem Jahr 2017 ergingen einige Urteile, die Unternehmen heute als Leitlinie für die Praxis dienen können. Dennoch ist die Gefahr ist nicht gebannt – darauf wies Jochen Rechtmann, Anwalt der Kanzlei Buchalik Brömmekamp in unserem gemeinsamen Seminar „Insolvenzanfechtung für Energiedienstleister“ hin.
Seminar Insolvenzanfechtung Rechtsprechung
In unserem Seminar, das wir Ende April für Energiedienstleister veranstalteten, berichtete Jochen Rechtmann/Buchalik Brömmekamp Rechtsanwälte von der aktuellen Rechtsprechung zur Insolvenzanfechtung.

Vorsatzanfechtung

Im Mittelpunkt steht § 133 der Insolvenzordnung: Vorsätzliche Benachteiligung. Hierbei räumt das Gesetz dem Insolvenzverwalter ein, eine Rechtshandlung, „die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte“.

Konkret: Hat ein Unternehmen vor der Insolvenz noch eine Rechnung an einen Gläubiger beglichen, eine andere Rechnung an einen anderen Gläubiger jedoch nicht, ist letzterer benachteiligt worden. Lässt sich auch feststellen, dass der bevorteilte Gläubiger von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit seines Schuldners gewusst haben muss, kann der Insolvenzverwalter die Zahlung zurückverlangen. Die entsprechende Summe fließt dann in die Insolvenzmasse zurück und wird gleichmäßig an alle Gläubiger verteilt.

Der Paragraph um die sogenannte Vorsatzanfechtung brachte in den vergangenen Jahren massive Verunsicherung mit sich. Wie beweisen Gläubiger etwa, dass sie von den Liquiditätsproblemen ihres ehemaligen Geschäftspartners nichts wussten? Und wie muss der Insolvenzverwalter darlegen, dass der bevorteilte Gläubiger sehr wohl Kenntnis hatte? Zahlreiche Unternehmen gerieten unter Druck, wenn sie sich plötzlich hohen Rückforderungen konfrontiert sahen. Mit den Jahren erhöhte die Rechtsprechung der deutschen Gerichte die Sicherheit für Unternehmen (Lesen Sie dazu auch unseren Artikel „Insolvenzverwalter müssen mehr Nachweise vorlegen“). Zudem verringerte sich der Zeitraum für Rückforderungen in den meisten Fällen auf maximal vier Jahre.

Ratenzahlungen

Auf zentrale Urteile ging der Fachreferent unseres Seminars, Jochen Rechtmann, ausführlich ein – darunter das im Mai 2021 erlassene BGH-Urteil zur Vorsatzanfechtung (unter dem Aktenzeichen IX ZR 72/20). Darin stellt der Bundesgerichtshof unter anderem fest, dass dem bevorteilten Gläubiger nicht ohne Weiteres die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit unterstellt werden kann. Vielmehr müsse er auch wissen, dass sein Schuldner die Zahlungsverpflichtungen gegenüber den übrigen Gläubigern auch künftig nicht erfüllen kann.

Außerdem will der Bundesgerichtshof stärker differenzieren, ob der Insolvenzverwalter wegen Kenntnis der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit (Anfechtungszeitraum maximal 3 Monate) oder sogar wegen eines erkannten Benachteiligungsvorsatzes (Anfechtungszeitraum 4 Jahre) anfechtet. Dies sei durch die bisherige Rechtsprechung verloren gegangen, so Rechtmann. Der Anwalt sezierte und erläuterte in unserem Seminar schließlich weitere Kriterien und Schlussfolgerungen aus dem BGH-Urteil, bevor er sich einem weiteren Urteil zu Stundungen und schleppendem Zahlungsverhalten unter dem Aktenzeichen IX ZR 148/19 widmete.

In diesem konkreten Fall diskutierte das Gericht die Frage, inwieweit vereinbarte kleinere Ratenzahlungen das Anfechtungsrisiko beeinflussen – und kommt entgegen der Haltung des Insolvenzverwalters zu dem Schluss, dass sie, wenn sie seitens des Schuldners eingehalten werden, keinen Rückschluss auf das möglicherweise negative Zahlungsverhalten gegenüber anderen Gläubigern zulassen. Damit verringern fristgerecht beglichene Ratenzahlungen sogar das Insolvenzrisiko. Zudem konstatierte das Gericht, dass eine Insolvenzanfechtung nicht allein auf schleppendes Zahlungsverhalten gestützt werden kann.

COVInsAG und StaRUG

Mit dem Beginn der Corona-Pandemie trat das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz in Kraft. Damit sollten Unternehmen vor einer Insolvenz geschützt werden, sofern ihre Liquiditätslücke durch die Einschränkungen der Pandemie begründet ist. Jochen Rechtmann berichtete auch in dieser Frage aus der aktuellen Rechtsprechung zur Insolvenzanfechtung. Im Folgenden ging er sehr differenziert auf die Neuerungen durch das Sanierungsgesetz StaRUG ein. Hat ein Gläubiger beispielsweise Kenntnis von der Restrukturierung seines Schuldners nach § 89 StaRUG, können Zahlungen an ihn im Falle einer späteren Insolvenz dennoch nicht einfach angefochten werden. Die Kenntnis wird nicht gleichzeitig mit der Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz gewertet.

Tipp

Auch wenn die aktuelle Rechtsprechung deutlich mehr Sicherheit bietet – ein Schutz vor Insolvenzanfechtung kann viele Unternehmen vor den teilweise existenzgefährdenden Schäden durch hohe Rückforderungen bewahren. Sprechen Sie uns an, wir zeigen Ihnen gern Absicherungsmöglichkeiten mit einer Insolvenzanfechtungsversicherung.

Praxistipps vom Anwalt

Jochen Rechtmann schloss seine sehr anschaulichen Erläuterungen zur Rechtsprechung Insolvenzanfechtung mit zahlreichen Praxistipps. So riet er etwa, dass Unternehmen nur Zahlungen annehmen sollte, die zum Stichtag in voller Höhe fällig sind und, wichtig, auch vom Schuldner direkt an sie überwiesen wurden. Vorsicht ist etwa geboten, wenn die Zahlung durch einen Dritten – etwa eine verbundene Gesellschaft – vorgenommen wurde.

Alle Zahlungen die Ihr Unternehmen entgegennimmt, sollten in voller Höhe fällig sein und vom Schuldner (nicht einem Dritten z.B. verbundene Gesellschaft) überwiesen werden. Das heißt: Ihr Kunde zahlt zu früh, auch nur einen Tag, dann ist dieses Anfechtbar (3 Monate vor Insolvenz), wird die Forderung nicht vom Schuldner sondern von einem z.B. Verbundsunternehmen geleistet, dann werden diese Forderungen bis zu 4 Jahre vor Insolvenzantrag angefochten.

Zahlt ein Kunde nur schleppend, sollten Unternehmen ebenfalls vorsichtig agieren – wobei hier zwischen Zahlungen auf Rückstände und Zahlungen für künftige Leistungen differenziert werden muss. Wie bereits erwähnt, ist Ratenzahlung selbst nicht immer problematisch. Das Risiko steigt zusätzlich, wenn sich beispielsweise aus der Korrespondenz ergibt, dass der Schuldner vermutlich nicht alle Gläubiger bedienen kann. Beachten Sie außerdem, dass eine Warenkreditversicherung (sofern nicht anders vereinbart) eingehende Zahlungen immer auf die älteste Forderung anrechnet. Unternehmen sollten bei Bedarf zunächst auch prüfen, ob eine Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Kreditversicherer abgeklärt werden muss. Bei Zahlungen für künftige Leistungen rät Rechtsanwalt Jochen Rechtmann, die Lieferungen als Bargeschäft zu vereinbaren – das heißt, zwischen Liefertermin und Bezahlung dürfen maximal 30 Tage liegen. (Achtung: Als Starttermin gilt hier der Tag der Leistungserbringung und nicht der Tag der Rechnungsstellung!) Außerdem können Unternehmen Sicherheiten verlangen.

Unser Fazit

Vieles, sehr vieles wurde durch die neue Gesetzgebung verbessert. Dennoch sollte ein jedes Unternehmen seine Hausaufgaben machen. Insolvenzanfechtungs-Schadensfälle wie Teldafax oder Praktiker sind nach wie vor möglich: Bei diesen beiden Insolvenzen wurde vor der Insolvenz die offene Forderung teilweise von anderen Konzerngesellschaften überwiesen. Diese Vorgehensweise hat die Gläubiger Millionen gekostet. Besonders ärgerlich: Die betroffenen Unternehmen hätten wissen können, dass das Geld von einem anderen Kunden gekommen ist. Diese Information lag in jedem Unternehmen vor. Auch heute noch werten viele Unternehmen aber nicht systematisch die Herkunft ihrer eingetroffenen Zahlungen aus dem Geldeingangskonto der Bank aus. Wenn Sie Ihr Risiko weiter senken wollen: Im Creditmanagement stehen uns bereits ausgefeilte Lösungen zur Verfügung. Sprechen Sie uns an!

Wir danken Herrn Jochen Rechtmann für den sehr informativen und praxisnahen Vortrag – und allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für ihr Interesse und die spannenden Fragen, die wir gemeinsam diskutieren konnten.

Haben Sie Interesse an einem Seminar zu Themen der Kreditversicherung, Unternehmensfinanzierung oder des Credit Managements? Gerne veranstalten wir auch künftig Fachseminare. Senden Sie uns Ihre Themenwünsche.

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