Zahlungsverzugsverordnung: Erste Lesung im EU-Parlament
Vergangene Woche war es soweit: Die auch bei uns vorab intensiv diskutierte Zahlungsverordnung wurde erstmalig dem EU-Parlament vorgestellt und in geänderter Fassung für den weiteren Gesetzgebungsprozess verabschiedet.
Zwischen der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts und einem EU-weiten Behindertenausweises, der Situation in Haiti und der Verwendung eingefrorener russischer Vermögen beschäftigten sich die Abgeordneten des EU-Parlaments in Straßburg nun erstmals mit der geplanten Zahlungsverzugsverordnung. Gelesen wurde an Tagesordnungspunkt 5.16 die zuletzt vom IMCO angepasste Version des Entwurfstextes. Abgestimmt hat das Parlament über eine nochmals erweiterte und angepasste Variante. Deutlich erkennbar ist darin die Handschrift einiger Kritiker der ersten Texte, die offenbar Gehör fanden.
Wir geben Ihnen einen kleinen Überblick über die aus unserer Sicht wichtigsten Punkte.
Zahlungsfristen
Wie vom IMCO vorgeschlagen bleiben sowohl das grundsätzliche Zahlungsziel von 30 Tagen als auch die Möglichkeit, individuell 60 Tage zu vereinbaren. Eine 120-Tage-Zahlungsfrist soll beispielsweise bei Langsamdrehern oder Saisonware gelten dürfen. Wie sich diese Güter definieren, soll vor Inkrafttreten der Verordnung eindeutig definiert sein.
Individuelle Vertragsformen
Ein zentraler Vorwurf von Branchenverbänden zielte auf die eingeschränkte Vertragsfreiheit, die die geplante Verordnung mit sich bringen würde. Hier formuliert die neue Version deutlich, dass unternehmerische Freiheit gewahrt bleiben soll. Konkret sei es möglich, die „vertraglichen Beziehungen sowie die Art und die Modalitäten des Vertrags“ festzulegen. Es können etwa Konsignationsverträge vereinbart werden, bei denen eine Rechnungsstellung zu einem „vereinbarten Zeitpunkt nach Lieferung“ abgesprochen werde. Im Falle von Konsignationsverträgen oder anderen ähnlichen Vertragsarten sollten die in dieser Verordnung festgelegten Fristen nach Erhalt der Rechnung gelten. Heißt: Die 30, 60 oder 120 Tage zählen ab Rechnungsstellung. Wann diese erfolgt, stimmen die Vertragspartner selbst ab.
Eigentumsvorbehalt
Zur Absicherung des Lieferanten plädiert das Parlament in Änderungsantrag 12 (23) dafür, dass der Verkäufer das Eigentum an der Ware bis zu ihrer vollständigen Bezahlung behält. Dazu sollte ein Eigentumsvorbehalt zwischen Käufer und Verkäufer vor der Lieferung der Ware ausdrücklich vereinbart werden. Insbesondere bei langsam drehenden Produkten könne der Eigentumsvorbehalt sowohl Abnehmer als auch Lieferant Sicherheit geben, in dem er als ein Instrument eingesetzt werde, um Abnehmern einen Kredit zu gewähren. Der Eigentumsvorbehalt soll EU-weit nicht unterbunden werden dürfen.
Abtretungsverbot
Eine ebenfalls wichtige Änderung: Das Abtretungsverbot oder Bestimmungen, die die Rechte an den Forderungen des Lieferanten beschneiden, sollen ebenfalls EU-weit verboten werden. Damit wird es deutlich leichter, Forderungen insbesondere gegenüber ausländischen Abnehmern über eine Factoring-Gesellschaft zu finanzieren.
Strafgebühren
Hier wird das Parlament erfreulich konkret. Die Gebühren sind nun fest gestaffelt nach Wert des Handelsgeschäfts: von 50 Euro für Geschäfte zwischen 0 und 1.500 Euro über 100 Euro für Geschäfte zwischen 1.501 und 15.000 Euro und 150 Euro für Geschäfte ab 15.000 Euro Handelswert. Diese Strafgebühren sind jedoch weiterhin zwingend fällig. Ganz explizit dürfen Gläubiger nicht auf sie verzichten, wenn der Schuldner eine große Behörde oder ein großes Unternehmen ist. An dieser Stelle wird es nun doch wieder schwammig: Wer definiert, was etwa ein großes Unternehmen ist? Kritikwürdig bleibt an dieser Stelle auch der weiterhin starke Eingriff in die Autonomie von Unternehmen.
Ausnahmen für einzelne Branchen
Einige Änderungsanträge beschäftigten sich mit Produkten, für die Ausnahmeregeln angestrebt werden. Dazu gehören Produkte, die länger als 60 Tage im Einzelhandel liegen, bevor sie abverkauft werden, und mit der Buchbranche ein kompletter Wirtschaftszweig. Auch hier erwarten wir in den nächsten Lesungen weitere Präzisierungen.
Behördliche Überwachung
Erinnern Sie sich an die erste Fassung, die die Errichtung einer neuen Behörde anstrebte? Die Abgeordneten bitten nun die EU-Staaten, unabhängige Behörden zu benennen, die sich um die Einhaltung der Verordnung kümmern. Diese sogenannten Durchsetzungsbehörden sollen selbst Nachforschungen anstellen und auf Beschwerden – auch anonyme Meldungen – reagieren dürfen. Außerdem soll ihnen erlaubt sein, Sanktionen zu verhängen. Für ihre Arbeit sollen sie auch digitale Instrumente einsetzen dürfen. Die Kritik der zunehmenden Bürokratisierung bleibt uns leider in diesen Punkt erhalten, und es wird zu …
(Noch) mehr Bürokratie
… führen. Auf öffentliche Auftraggeber kommen neue Berichtspflichten zu. Jährlich sollen sie strukturiert und detailliert Auskunft über ihre eigene Zahlungsmoral und die Einhaltung von Zahlungsfristen geben. Diese Berichte sollen zudem öffentlich zugänglich gemacht und elektronisch vorgelegt werden.
Kleinstunternehmer bekommen zunächst mehr Zeit
Eine Verordnung tritt zu einem festen Stichtag EU-weit in Kraft – anders als eine Richtlinie, die erst noch in nationales Recht umgesetzt werden muss. Um diese sehr prompte Auswirkung etwas abzufedern, sollen Kleinstunternehmen die Anwendung der Verordnung um 12 Monate aufschieben dürfen.
Unsere Einschätzung
Insgesamt hat der Verordnungstext nun an Klarheit gewonnen, zentrale Begriffe sind nun einheitlich definiert, Gebühren und Fristen eindeutig festgesetzt – und man gibt den Unternehmen wieder mehr Freiheiten. So ist der Weg für ein 60-Tage-Zahlungsziel für alle frei, die dies bewusst vereinbaren möchten. Dennoch hat das Parlament noch längst nicht alle (aus unserer Sicht berechtigten) Kritikpunkte diskutiert und berücksichtigt. Und wie immer gilt: Je mehr ein Gesetzestext weiterentwickelt wird, desto unübersichtlicher kann er auch werden. Jeder Unternehmer wird gefragt sein, die für ihn relevanten Verordnungsteile noch einmal genau unter die Lupe zu nehmen.
Den von den Abgeordneten verabschiedeten Verordnungstext – verglichen mit der vorgestellten Version – finden Sie hier. Sie werden darin noch einige Details und Erweiterungen entdecken, die in Straßburg vereinbart wurden.
An dieser Stelle stockt der Gesetzgebungsprozess nun vorerst, da auf eine Antwort des Europäischen Rats gewartet wird. Diese jedoch wird erst nach der EU-Wahl kommen. Nichtdestotrotz: Wir gehen davon aus, dass diese Zahlungsverzugsordnung früher oder später kommt. Drei Viertel der Parlamentarier haben nach der Lesung für diese Verordnung gestimmt.
Wir bleiben für Sie am Ball und informieren Sie weiter an dieser Stelle.