Zahlungsverzugsverordnung: Wie die EU den Mittelstand schützen will
Die Europäische Union und ihr Vorschlag zur „Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr“
Auf den ersten Blick mag Vorschlag 2023/0323 (COD) für eine geplante EU-Zahlungsverzugsverordnung kaum zum Lesen motivieren, doch es lohnt sich, sich damit auseinanderzusetzen. Denn sie hat es in sich.
Im Vordergrund steht für die Europäische Union das Ziel, dass Unternehmen pünktlicher zahlen. Gerade kleine und mittlere Unternehmen sollen ihr Geld schneller erhalten, denn sie sähen sich – so erklärt der Entwurf der Verordnung – häufig damit konfrontiert, dass Großunternehmen und Konzerne ihre Marktmacht ausnutzen („Asymmetrien in der Verhandlungsmacht“). Kleine und mittlere Unternehmen sollen mit der Verordnung nun vor möglichen Insolvenzen geschützt und Lieferketten stabilisiert werden.
Die Art und Weise, wie die EU dabei vorgeht, wird jedoch bereits kontrovers diskutiert. Mit der Entscheidung, den Weg einer Verordnung zu gehen, zeigt die EU deutlich ihren unbedingten Handlungswillen. Üblicherweise bahnt Brüssel den Gesetzesvorhaben über Richtlinien, bei denen die Mitgliedsstaaten einen gewissen Zeitkorridor erhalten, die EU-Richtlinie in geltendes nationales Recht umzusetzen. Dabei können sie die Gesetze innerhalb eines Rahmens auf nationale Bedürfnisse ausrichten – wie wir dies etwa bei der geplanten Angleichung des Insolvenzrechts erleben. Dies entfällt bei einer Verordnung.
Rechtsvorschriften der EU: Die Unterschiede
Eine Verordnung ist verbindlich: Alle EU-Länder müssen sie in vollem Umfang umsetzen. Sie gelten damit EU-weit einheitlich und ab einem bestimmten, ebenfalls einheitlichen Stichtag.
Eine EU-Richtlinie gibt ein zu erreichendes Ziel vor. Die Länder können ihre jeweilige nationale Gesetzgebung recht frei bestimmen, solange dieses Ziel verwirklicht wird. Für diese Umsetzung in nationales Recht bleibt den Mitgliedsstaaten zudem ein Zeitraum von meist zwei Jahren, innerhalb derer sie die EU-Richtlinie in nationales Gesetz umsetzen müssen. EU-Richtlinien sind bei aller inhaltlicher Freiheit dennoch rechtsverbindlich, das heißt: Sie müssen umgesetzt werden.
Beschlüsse sind verbindlich und unmittelbar anwendbar für diejenigen, an die sie gerichtet sind.
Mit einer Empfehlung kann die Europäische Union ihre Einstellung zu einzelnen Fragen äußern und Maßnahmen vorschlagen. Empfehlungen sind jedoch nicht rechtsbindend.
Auch Stellungnahmen haben keine Rechtsbindung und bringen keine Verpflichtungen für Mitgliedsstaaten. Mit dem Instrument der Stellungnahme steht den Organen und Ausschüssen der EU ein Instrument zur Verfügung, mit denen sie sich zu einem Sachverhalt äußern können.
Im Falle der geplanten Verordnung zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr etwa hat auch der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss eine Stellungnahme abgegeben, auf die sich der Vorschlagstext nun wiederum stützt.
Das fordert die geplante Zahlungsverzugsverordnung
Bei B2B-Geschäften belaufen sich die Zahlungsfrist und die Dauer der Abnahme- und Überprüfungsverfahren nach Wunsch der EU künftig auf maximal 30 Tage – ohne Wenn und Aber. Sonderabsprachen und Ausnahmeregeln sind weder erlaubt noch vorgesehen. Ausnahmen sieht die EU nur für wenige öffentliche Stellen vor, die anderen Unternehmen Dienstleistungen in Rechnung stellen. Mit der Verordnung sollen besonders kleine und mittlere Unternehmen einen EU-weiten Rechtsanspruch darauf erhalten, ihr Geld pünktlich zu bekommen. Untermauert wird dies mit gesetzlich geregelten üppigen Mahngebühren und einem Zinsanspruch bei verspäteter Zahlung.
In der Vergangenheit gab es bereits eine EU-Gesetzgebung für verderbliche Waren. Diese Richtlinie hatte zur Folge, dass die Lieferanten von verderblichen Waren, Gemüse, Fleisch oder Eiern nach 30 Tagen bezahlt werden mussten. Das Ergebnis damals: Ein Teil unserer Kunden brauchte kein Factoring mehr, das Eigenkapital und das Rating hat sich deutlich verbessert und das Zeichnungsvolumen auf unsere Kunden als Risiko in der Kreditversicherung konnte deutlich ausgeweitet werden.
Update: Der "Ausschuss für für Binnenmarkt und Verbraucherschutz" hat einige Änderungen am Entwurf vorgeschlagen. Erfahren Sie hier mehr zum aktuellen Stand der Verordnung.
Wen würde die geplante Zahlungsverzugsverordnung betreffen?
Die Verordnung soll laut Artikel 1 gelten „für Zahlungen im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen, bei denen die öffentliche Stelle der Schuldner ist, die zur Lieferung von Waren oder zur Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt führen“. Großhandel, Hersteller, Zulieferer, Dienstleister: Sie alle sollten sich mit der geplanten Verordnung beschäftigen. Sie wird für den gesamten EU-Binnenmarkt verbindlich geplant. Die Verordnung sieht über die fixe Zahlungsfrist hinaus auch fixe Verzugszinsen und Regeln für deren Beitreibung vor.
Kleine und mittlere Unternehmen kann diese Verordnung sicherlich stützen. Umgekehrt steigert sie jedoch den Liquiditätsbedarf der anderen – nämlich der Großunternehmen und Konzerne. Zu ihnen verschiebt sich das Risiko, wenn Forderungen schneller beglichen werden müssen als bislang, und wenn bei verspäteter Zahlung Gebühren und Zinsen automatisch anfallen und vorgeschrieben sind.
Profitieren könnten Lieferanten von Lebensmittelkonzernen und Baumarktketten. Zahlungsziele von 60 oder mehr Tagen sind hier leider üblich. Auch für Unternehmen der Textilgroßhandels, die ihre Waren nach den Einheitsbedingungen der deutschen Textilwirtschaft etwa an große Filialisten verkaufen, dürfte die geplante Regelung Vorteile bringen. Und die Baubranche könnte durch die schnellere Abnahme ihrer Gewerke und die kürzeren Zahlungsziele von dieser EU- Initiative ebenfalls profitieren.
- Den Volltext des Vorschlags 2023/0323 zum Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr finden Sie auf dem Server des Bundestags (PDF). Die Europäische Kommission hat im September 2023 die Mitgliedsstaaten über die Planungen offiziell unterrichtet.
- In den Bundesrat fand das Schreiben als Drucksache 450/23 am 20. Oktober 2023. Mit Blick auf "auf unvorhergesehene und nicht planbare Sondersituationen" sowie auch die Bürokratie lehnt der Bundesrat per Beschluss die starre Zahlungsfrist ab (PDF).
- An dieser Stelle finden Sie die Sitzungsunterlagen und den Videomitschnitt der Abstimmung im Bundesrat.
Unser Fazit
Mit dieser Verordnung müssen sich alle auseinandersetzen, die innerhalb der EU Geschäftsbeziehungen unterhalten und bislang individuelle (und längere) Zahlungsziele vereinbart haben. Wie jede neue EU Verordnung oder Gesetzesinitiative ist auch diese Regelung mit einem höheren Verwaltungsaufwand der Großunternehmen und Konzerne verbunden: Sie müssen die Einhaltung der Verordnung überwachen, um nicht zu unnötigen und üppigen Mahngebühren und Strafzinsen herangezogen zu werden. Bereits liegen uns Anfragen zur Automatisierung dieses Informationsbedarfs im Credit Management vor.
Nichtsdestotrotz könnte die Verordnung für eine Stabilisierung des Mittelstands und teilweise auch für eine Neuordnung des Marktes sorgen.
Aus unserer Sicht ist jedoch nicht absehbar, dass der Verordnungsvorschlag in dieser Fassung durchgesetzt wird. Immerhin handelt es sich um einen weitreichenden Eingriff in die Rechte der Unternehmen. Zudem rechnen wir mit Gegenwehr insbesondere aus dem Süden der EU, in denen deutlich längere Zahlungsziele üblich sind. Auch der deutsche Bundesrat lehnt diesen Vorschlag der EU aktuell ab.
Mit Blick auf den Markt und die Verhandlungsgewohnheiten zwischen Unternehmen wissen wir auch, dass Zahlungsziele nur ein Rädchen sind, an denen geschraubt wird. Gerade größere Unternehmen im Handel setzen auch Werbekostenzuschüsse, die verpflichtende Buchung von Werbeflächen oder Regalflächen und andere Instrumente ein, die diese Verordnung nicht in den Blick nimmt – die kleine und mittlere Unternehmen aber dennoch häufig belasten.
Einigen der vorgeschlagenen Änderungen stehen wir durchaus positiv gegenüber. Allerdings bleibt abzuwarten, wie die einzelnen Mitgliedsstaaten reagieren und welche Anpassungen noch erfolgen. Wir behalten es für Sie weiter im Blick.